Restaurierung der Schedel’schen Weltchronik
Geschichte zu schreiben, Ereignisse festzuhalten und in einen großen Zusammenhang zu bringen, hat die Menschen bereits vor Jahrhunderten bewegt und großartige Werke der Buchkunst hervorbringen lassen.
Abb. 1 – die Weltchronik vor der Restaurierung© Stadtarchiv HildesheimEines der bekanntesten, wenn nicht gar das bekannteste Werk ist die sogenannte „Schedel’sche Weltchronik“ (korrekt: Schedel, Hartmann: Registrum huius operis libri cronicarum).
Dabei handelt es sich um eine illustrierte Darstellung der Weltgeschichte, verfasst von Hartmann Schedel (1440-1514) in Nürnberg. Aufgeteilt in sieben Zeitalter wird die Geschichte der Menschheit erzählt, angefangen von der Schöpfung über die (damalige) Gegenwart und bis hin zum Jüngsten Gericht. Dieses Werk wurde in etlichen Auflagen und übersetzt in mehrere Sprachen vielfach gedruckt. Das Exemplar des Stadtarchivs erschien 1493 bei Anton Koberger in Nürnberg. Es gehört zum Bestand der ehemaligen Städtischen Bibliothek und wird seit der Trennung von Stadtbibliothek und Stadtarchiv in der Wissenschaftlichen Bibliothek des Stadtarchivs aufbewahrt.
Abb. 2 – Schädlinge und Feuchtigkeit haben ganze Arbeit geleistet© Stadtarchiv HildesheimDas Buch befand sich jedoch in einem äußerst schlechten Zustand. Vermutlich bedingt durch die Auslagerung im Zweiten Weltkrieg und die anschließende Aufbewahrung in ungeeigneten Räumlichkeiten hat das gute Stück einen massiven Wasserschaden davongetragen: das Papier fleckig und eingerissen, das Leder, das den Bucheinband umschließt, löchrig, der hölzerne Buchdeckel von Holzwürmern völlig zerfressen. In einem solchen Zustand konnte das Buch weder ausgestellt oder digitalisiert, geschweige denn von einem Leser benutzt werden.
Wegen des zu erwartenden Restaurierungsaufwandes und der damit verbundenen Kosten fristete es lange Zeit sein Dasein im Magazin des Stadtarchivs.
Abb. 3 – Verfüllen der Wurmgänge – eine mühsame Prozedur© Buchbinderei Bertram, HarsumSeit einigen Jahren haben Kultureinrichtungen wie Archive und Bibliotheken die Möglichkeit, sich bei der Erhaltung ihrer Kulturschätze finanzielle Unterstützung zu holen. Ermöglicht wird dieses durch zwei Förderprogramme des Bundes, das BKM-Sonderprogramm und die KEK-Modellprojektförderung. Während die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) vorrangig Mengenverfahren wie z.B. Massenentsäuerung von Papier, Verpackung oder Schadensprävention fördert, werden durch die Koordinierungsstelle für die Erhaltung des schriftlichen Kulturguts (KEK) deutschlandweit ausgewählte Modellprojekte zur Erhaltung des schriftlichen Kulturguts unterstützt.
Diese Chance wollte das Stadtarchiv nutzen und stellte im Frühjahr 2020 einen Förderantrag bei der KEK, der glücklicherweise im Sommer auch bewilligt wurde.
Abb. 4 - Der Buchdeckel ist mit Stäbchen aus Balsaholz rekonstruiert© Buchbinderei Bertram, Harsum Für die Durchführung der Arbeiten konnte die Buchbinder-Meisterin Monika Bertram gewonnen werden, die seit vielen Jahren eine Buchbinderei und Restaurierungswerkstatt in Harsum betreibt.
Für die Restaurierung wurde das Buch zunächst komplett auseinandergenommen, also der Buchblock vom Einband gelöst und das Einbandleder wiederum von den hölzernen Decken abgenommen. Dabei stellte sich heraus, dass der Schaden am Holz noch größer war, als bereits befürchtet. Die Holzdeckel waren komplett von Holzwürmern zerfressen und boten keinerlei Stabilität mehr. Daher mussten die Wurmgänge einzeln mit Methylcellulose aufgefüllt werden, was sehr viel Zeit in Anspruch nahm. Die vollständig zerstörten Teile des Deckels wurden in einer aufwändigen Technik mit neuem Holz ergänzt.
Abb. 5 - Japanpapier soll das fragile Papier festigen© Buchbinderei Bertram, Harsum Nachdem das Einbandleder entfernt worden war, kamen im Buchrücken sieben Pergamentstreifen zum Vorschein, sog. Pergament-Makulatur. Diese wurde (und wird) benötigt, um den Halt des Buchblockes zu verstärken. Diese Technik, bei der Herstellung von neuen Büchern altes Material zu „recyceln“, war im späten Mittelalter durchaus üblich und zeugt von der Wertschätzung des Materials Pergament, aber nicht der des zerschnittenen Buches. Die wenigen lesbaren Schnipsel lassen auf einen religiösen Text schließen; für eine Identifikation reicht es jedoch leider nicht aus.
Abb. 6 – ein Blick in den Buchrücken mit Beschriftung und Resten von Pergamentmakulatur© Stadtarchiv Hildesheim Zudem war auch der Buchblock selbst beschriftet – seltsamerweise der Teil, der sonst vom Rückenleder verdeckt wird. Auch dieser Text war leider nicht lesbar, Sinn und Zweck dieses Textes bleiben daher wohl ein Geheimnis.
Nachdem nun die Holzdeckel ausreichend stabilisiert waren, konnten sie wieder mit ihrem ursprünglichen Lederüberzug verbunden werden. Auch die Makulatur-Streifen wurden wieder eingesetzt sowie das fehlende Einbandleder und die verlorengegangenen Schließen ergänzt. Das vom Schimmel angegriffene Papier wurde mit einem speziellen Japanpapier verstärkt sowie die Risse und Löcher kaschiert, d. h. hinterklebt und verschlossen.
Es ist durchaus gewollt, dass man dem Buch weiterhin seine Geschichte ansieht und die Spuren, die Generationen von Lesern darin hinterlassen haben. Wichtig für das Restaurierungsprojekt war jedoch, einerseits den weiteren Verfall dieses besonderen Werkes aufzuhalten und es andererseits vor allem für Forschende und wissenschaftlich interessierte Leser wieder nutzbar zu machen.
Abb. 7 - Übergabe der restaurierten Weltchronik ans Stadtarchiv© Stadtarchiv Hildesheim