Das Mahnmal am Lappenberg wurde zum Gedenken an die 1938 zerstörte Synagoge der jüdischen Gemeinde Hildesheim errichtet. Diese war im Zuge der von den Nationalsozialisten am 9. November 1938 inszenierten Reichspogromnacht von der SS geplündert, zerstört und niedergebrannt worden. In der Reichspogromnacht sind auf Befehl von oberster Stelle Synagogen im ganzen Deutschen Reich zerstört worden, gefolgt von Verhaftungen und erneuten Plünderungen jüdischer Geschäfte. Die Reichspogromnacht gilt als einer der traurigen Höhepunkte nationalsozialistischen Judenverfolgung, der bereits seit der Machtergreifung Hitlers fünf Jahre der Entrechtung und Vertreibung der Juden aus dem öffentlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben vorausgegangen waren. Trotz des Brandes und der Befehl der SS, die Feuerwehr solle lediglich die umliegenden Häuser vor dem Übergreifen der Flammen schützen, konnten die Fassade dem Feuer teilweise standhalten. Zumindest belegt eine am Morgen des 10. November gemachte Aufnahme, dass zu diesem Zeitpunkt das südöstliche Mauerwerk noch stand. Erst der Technische Notdienst habe laut Zeugenaussagen die Mauern mit langen Holzbalken ins Innere gedrückt, weswegen auf den späteren Fotos nur noch Trümmer zu erkennen sind. Diese sind erst 1940 vollständig beseitigt worden und wurden im Straßenbau wiederverwendet.
Um diesen Ereignissen zu gedenken war die Errichtung eines Denkmals am Lappenberg über viele Jahre ein großes Anliegen der Stadt Hildesheim. 1984 hat die Hildesheimer Friedrich Weinhagen Stiftung die Aufgabe übernommen, ein Mahnmal zu errichten und es 1988 zum 50. Gedenktag der Stadt Hildesheim und seinen Bürgern zu übergeben. Entworfen wurde es vom Bildhauer Elmar Hillebrand unter der Mitwirkung der Künstler Theo Heiermann, Jochen Pechau und Karl Matthäus Winter.
Das Mahnmal besteht aus einem großen, zwei Meter breiten Kubus aus rötlichem Kalkstein. Es wurde mittig in der Grundfläche des achteckigen Hauptschiffes der ehemaligen Synagoge platziert. Die vier Seiten des Steins widmen sich den jüdischen Themen Erwählung, Kult, Gesetz und Verfolgung, die die Geschichte des Judentums bis zum Holocaust darstellen sollen. Zudem ist an jeder Seite ein großer Davidstern sowie Bronzeplastiken in den steinernen Kubus eingearbeitet worden. An der Nord-, Süd- und Ostseite sind die Davidsterne aus verschiedenen Marmorarten gefertigt worden, an der Westseite hingegen aus Bronze. Im unteren Dreieck der Davidsterne befinden sich Wasserspeier, die Trinkwasser für die sich darunter befindenden Wasserschalen spenden. Dies steht symbolisch für Wasser als Quelle des Lebens und Wasser als Zeichen der Hoffnung. Verbunden werden alle Wasserspeier durch einen in den Stein eingearbeiteten Vorhang, der an den Vorhang im Tempel erinnern soll, hinter dem sich die heilige Bundeslade befand. Symbolisch wird also der Betrachter eingeladen – andächtig und schweigend – den Raum des Denkmals zu betreten. An der Westseite, der Seite der Verfolgung, ist dieser Vorhang zerschlissen und an seinem Saum befinden sich Totenschädel, die das Ergebnis der Verfolgung unmissverständlich darstellen. Die Aussage der dargestellten brennenden Synagoge und des brennenden Hildesheims wird noch durch den 74. Psalm ergänzt und verdeutlicht:
„An Dein Heiligtum legten sie Feuer, bis auf den Grund entweihten sie die Wohnung deines Namens. Sie verbrennen alle Gotteshäuser im Land.“ (Siemer 1989, S. 18)
Auf der Oberseite des Quaders ist eine Bronzeplastik der Stadt Jerusalem angebracht worden. Getragen wird sie von vier bronzenen Löwen, die als Wappentier des Stammes Juda die Sehnsucht nach Jerusalem symbolisieren sollen. Inklusive der Bronzeplastik und einem Sockel, auf dem der Quader steht, hat das Mahnmal eine Gesamthöhe von 3,48 Metern. Des Weiteren wird der Stein umrahmt von einer kniehohen Steinmauer, die den Verlauf der Außenmauern der zerstörten Synagoge nachzeichnet.
Letztendlich soll das Mahnmal aber nicht nur an die zerstörte Synagoge und den jahrhundertelangen jüdischen Leidensweg erinnern, sondern auch das Judentum selbst ehren, dass selbst im Untergang die Hoffnung auf sein Wohlergehen sowie den Glauben an die Erwählung seines Volkes und damit den Glauben an sich selbst nicht aufgeben wollte. Daran konnten auch die Nationalsozialisten mit ihrem unbändigen Judenhass und ihren unvorstellbar grausamen Taten nichts ändern. Zudem enthält es neben den spezifisch jüdischen Einzigartigkeiten auch viele Hinweise auf Gemeinsamkeiten mit dem Christentum, wie zum Beispiel das Alten Testament. Symbolisch dargestellt sollen diese Gemeinsamkeiten für Bewusstseinsbildung sorgen: ein Bewusstsein, dass auch Gemeinsamkeiten erkennt und sich nicht nur an die Unterschiede zu anderen Gruppierungen klammert.
Exkurs: Die Synagoge am Lappenberg
Bereits 1832 bemühte sich die jüdische Gemeinde um einen Neubau ihres Gotteshauses, da die alte Synagoge, die sich in einem Hinterhaus am Lappenberg verbarg, zu klein und baufällig geworden war. 1833 wurde der jüdischen Gemeinde für eine geringe jährliche Gebühr der Platz am Lappenberg zur ausschließlichen Nutzung für den neuen Tempel überlassen, den sie 1881 der Stadt ganz abkaufte. Mit dem Neubau der Synagoge konnte trotzdem erst 1848 begonnen werden, obwohl die alte Synagoge aufgrund von Einsturzgefährdung bereits 1840 geschlossen werden musste. Der Baubeginn scheiterte immer wieder an den fehlenden finanziellen Mitteln der Gemeinde. Erst durch einen Spendenaufruf in der Zeitung gelang es, die nötige Summe für den Baubeginn zusammenzukriegen. Am 8. November 1849 konnte der Bau der neuen Synagoge schließlich abgeschlossen und vom Landrabbiner Dr. Meyer Landsberg eingeweiht werden.
Die Hildesheimer Synagoge als Postkartenmotiv© Stadtarchiv Hildesheim
Doch der Neubau der Synagoge gab der jüdischen Gemeinde Hildesheims, die ebenfalls größtenteils am Lappenberg angesiedelt war, nicht nur ein neues Zuhause. Vielmehr war sie ein öffentlich sichtbares Symbol der neuen jüdischen Stellung im Deutschen Reich. Erst 1848 hatten die Juden im deutschen Reich im Zuge der Revolution ihre volle bürgerliche Gleichberechtigung erhalten. Somit wurde der frei stehende Bau, der von jedem gut als jüdisches Gotteshaus erkennbar war, als Zeichen und Demonstration der neuen politischen Freiheit betrachtet. Umso ironischer erscheint es, dass mit der Reichspogromnacht fast auf den Tag genau 89 Jahre später nicht nur das jüdische Gotteshaus und damit das Heim der Gemeinde an sich vernichtet wurde, sondern den Juden kurz darauf – nun offiziell – jegliche Rechte entzogen wurden. Somit begann die Geschichte der Synagoge in Hildesheim mit einer jüdischen Gemeinde, die nach langem Kampf endlich ihre rechtliche Gleichstellung erreicht hatten und endete mit einer zerstörten Synagoge und einer vollkommen rechtlosen und isolierten jüdischen Gemeinde.
Text: Ann-Kathrin Möhle
Das Mahnmal für die Synagoge am Lappenberg
Foto: Ann-Kathrin Möhle
Literatur und Quellen